TOP: 4.1 Patientenorientierung als Element einer zukunftsweisenden Gesundheitspolitik
Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder haben einstimmig beschlossen:
Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder halten die Einbeziehung von Patientinnen und Patienten in sie betreffende Fragen und Entscheidungen der gesundheitlichen Versorgung für ein grundlegendes Element einer zukunftsweisenden Gesundheitspolitik. Eine weiterentwickelte patientenorientierte Gesundheitspolitik erfordert nach Auffassung der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder insbesondere folgende Maßnahmen:
Verbesserung der Patientensouveränität und der Orientierung im Gesundheitswesen
Stärkung der Gesundheitskompetenz und gesundheitlichen Eigenverantwortung
Förderung der Kommunikation und des Wissenstransfers zwischen Patientinnen und Patienten und allen Beteiligten im Gesundheitswesen
Stärkung der gesundheitlichen Selbsthilfe und Patientenbeteiligung
Erhöhung der Patientensicherheit
Weiterentwicklung des Beschwerdemanagements
Erleichterung zur Beweislast und zum Beweismaß bei möglichen Behandlungsfehlern
Vor diesem Hintergrund fasst die Gesundheitsministerkonferenz der Länder folgenden Beschluss:
Die GMK bestätigt die Notwendigkeit, die Gesundheitskompetenz in Deutschland deutlich zu verbessern. Sie sieht in der Förderung von Gesundheitskompetenz eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die über die Institutionen des Gesundheitswesens weit hinausgeht. Sie begrüßt in diesem Zusammenhang den kürzlich vorgelegten Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz.
Die GMK setzt sich dafür ein, z.B. auch durch das geplante Gesundheitsportal, den Patientinnen und Patienten eine sichere Orientierung im Gesundheitswesen und Transparenz über die Zugangswege zu den von ihnen benötigten Beratungs- und Versorgungsangeboten zu schaffen. Patientinnen und Patienten sollen so in die Lage versetzt werden, ihre Interessen besser zu vertreten und ihre Entscheidungen auf der Basis qualitätsgesicherter Informationen zu treffen. Die GMK bittet die Bundesregierung, hierfür die erforderlichen Grundlagen zu schaffen und vorhandene gesetzliche Grundlagen zu schärfen.
Die GMK sieht in der Barrierefreiheit für alle Patientengruppen einen wesentlichen Beitrag zum gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zu den Leistungen und den Angeboten des Gesundheitswesens. Die Barrierefreiheit erstreckt sich dabei nicht nur auf die baulichen, sondern u.a. auch auf die kognitiven, sprachlichen, optischen und akustischen Anforderungen. Auch sind die spezifischen Zugangsbarrieren in Bezug auf psychische Erkrankungen in den Blick zu nehmen. Die GMK bittet insbesondere die Verantwortlichen in der stationären und ambulanten Versorgung, für eine Barrierefreiheit ihrer Einrichtungen Sorge zu tragen. Um das Ziel einer vollständigen, zumindest aber weitgehenden baulichen Barrierefreiheit mittelfristig zu realisieren, begrüßt es die GMK, wenn auch Bestandseinrichtungen die geltenden und anerkannten Normen für barrierefreies Bauen beachten und umsetzen.
Die Kommunikationskompetenz und wertschätzende Beziehungsgestaltung der im Gesundheitswesen Tätigen ist von wesentlicher Bedeutung für die Partizipation, Qualität, Sicherheit und den Erfolg der gesundheitlichen Prävention und der medizinischen Behandlung von Patientinnen und Patienten. Die GMK tritt dafür ein, die Stärkung dieser Kompetenzen mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen. Sie bittet daher die Verantwortlichen der Ausbildungs- und Studiengänge für Gesundheitsberufe um eine systematische Berücksichtigung dieser Anforderungen im jeweiligen Curriculum. Dies gilt insbesondere für die anstehende Novellierung der Approbationsordnungen für Ärzte und Zahnärzte. Die GMK bittet insbesondere darüber hinaus die Heilberufskammern, Fortbildungsveranstaltungen für eine Arzt-Patienten-Kommunikation, die auch kultursensible Aspekte beinhaltet, weiterzuentwickeln und anzubieten. Auch sollten bei Fortbildungen im ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Bereich Strategien einer wirksamen und fundierten Patientenberatung, -information und -aufklärung vertieft trainiert werden.
In einem arbeitsteiligen Gesundheitssystem ist die Informationsweitergabe an den Schnittstellen eine zentrale Herausforderung, insbesondere am Übergang zwischen ambulanter, stationärer, rehabilitativer und pflegerischer Versorgung. Die GMK bittet alle Beteiligten, der Kommunikation an den genannten Schnittstellen der Versorgung besser als bisher Rechnung zu tragen.
Die GMK bittet das BMG, die in der letzten Legislaturperiode eingeleitete Qualitätsoffensive im Krankenhausbereich sowie die Herstellung von Transparenz über die Versorgungsqualität auch auf den ambulanten Bereich auszudehnen. Die GMK hält dazu die Weiterentwicklung von Methoden und Indikatoren für notwendig, mit denen Qualität und Patientensicherheit transparent abgebildet werden können.
Die GMK spricht sich dafür aus, dass die Informiertheit von Patientinnen und Patienten dadurch verbessert wird, dass sie die wichtigen Informationen im Zusammenhang mit ärztlichen Untersuchungen und Behandlungsempfehlungen nicht nur mündlich, sondern auf dauerhafte Weise mitgeteilt bekommen. In einem ersten Schritt sollte jede Patientin bzw. jeder Patient nach jeder stationären Behandlung einen Patientenbrief erhalten.
Die GMK bittet das BMG, differenzierte Patientenbefragungen als Instrument des Qualitätsmanagements in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens nach erfolgter Evaluation und Bewertung des gesundheitlichen Nutzens einzuführen. Die Ergebnisse sollen als neutrale und transparente Patienteninformationen bereitgestellt werden.
Die GMK spricht sich dafür aus, die Beteiligung von Patientinnen und Patienten strukturell in allen Gremien des Gesundheitswesens weiter zu stärken. Die GMK sieht die Notwendigkeit, Patientinnen und Patienten bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens einzubeziehen, um so ihre Expertise in eigener Sache in die Entscheidungsprozesse einbringen zu können. Patientenbeteiligung ist ein Element zur Stärkung der Patientenrechte und trägt zur Verbesserung der Qualität der gesundheitlichen Versorgung bei. Hierzu bedarf es auch der Sicherstellung von angemessenen Ressourcen, um Patientenbeteiligung zu ermöglichen.
Die GMK bittet das BMG, dafür Sorge zu tragen, dass geeignete Anwendungen, die die Telematikinfrastruktur nutzen wollen, auch einen Beitrag zu mehr Patientensicherheit, Patientensouveränität und -beteiligung leisten müssen. Digitalisierung, elektronischer Kommunikation und E-Health-Anwendungen kommen dabei eine besondere Bedeutung zu. Hierzu sind Kriterien zu erarbeiten, die Anbietern wie Anwendern, aber auch Patientinnen und Patienten als Orientierung dienen sollen. Die gematik Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH wird gebeten, dazu ihren Beitrag zu leisten sowie dafür zu sorgen, dass die Patientenorganisationen vor allem bei komplexen Fragestellungen in ihrer Meinungsbildung unabhängig fachlich unterstützt werden.
Die GMK bittet das BMG, gesetzlich zu regeln, dass Vertragsärztinnen und -ärzte verpflichtet werden, neutrale und evidenzbasierte schriftliche Informationen über Nutzen und Risiken der angebotenen „Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL)“ sichtbar in ihren Praxisräumen auszulegen und auf ihren Homepages zu verlinken. Damit hätten Patientinnen und Patienten dann die Möglichkeit, sich vorab zu informieren und könnten auf dieser Grundlage gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen.
Die GMK sieht in der Sicherheit der Patientinnen und Patienten ein zentrales Kriterium einer qualitätsorientierten Gesundheitsversorgung. Sie unterstützt in diesem Zusammenhang die Arbeit des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. Die für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren werden, soweit noch nicht erfolgt, eine Mitgliedschaft im Aktionsbündnis Patientensicherheit prüfen. Um eine hohe Patientensicherheit zu erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, Fehler möglichst zu vermeiden bzw. im Falle ihres Auftretens aus ihnen zu lernen. Die GMK bittet die Einrichtungen des Gesundheitswesens, eine gelebte Kultur der Patientensicherheit zu etablieren bzw. weiterzuentwickeln (z.B. CIRS).
Die GMK sieht im Sinne der Patientensicherheit auch die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) als zentrales Kriterium einer qualitätsorientierten Gesundheitsversorgung an. In diesem Sinne bittet die GMK das BMG zu prüfen, ob und wie die ländereigenen Regelungen durch Regelungen auf Bundesebene unterstützt werden können, insbesondere im Krankenhausbereich z.B. durch Regelungen zur Hinzuziehung von Apothekerinnen und Apothekern für das Medikationsmanagement im Rahmen der patientenindividuellen Arzneimitteltherapie auf den Stationen, durch die verbindliche Einrichtung von Arzneimittelkommissionen und durch die verbindliche Nutzung von Medikationsdatenbanken bei Polymedikation.
Die GMK bittet die Bundesregierung, sowohl Vorschläge für einen Patientenentschädigungsfonds für Schäden in Härtefällen, bei denen die bestehenden Haftungsregelungen nicht greifen, als auch weitere Erleichterungen zur Beweislast und zum Beweismaß zu prüfen. Ebenso ist zu prüfen, ob konkretere Vorgaben zur Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen in § 66 SGB V zu verankern sind, die Patientinnen und Patienten beim Nachweis eines Behandlungsfehlers unterstützen. Die GMK bittet die Justizministerkonferenz, weitere Erleichterungen zur Beweislast und zum Beweismaß zu prüfen.
Aus Sicht der GMK ist die außergerichtliche Schlichtung bei Behandlungsfehlervorwürfen durch eine angemessene Beteiligung der Patientenvertretung in allen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen zu verbessern.
Die GMK hält patientenorientierte einrichtungsbezogene Beschwerdemanagementsysteme in Einrichtungen des Gesundheitswesens für notwendig. Die Zusammenarbeit mit externen Beratungs- und Beschwerdestellen ist zu berücksichtigen und zu stärken.
Die GMK hält eine vertiefte Wertediskussion der ethischen Fragestellungen bei der medizinischen Behandlung lebenslimitierender Erkrankungen sowie der Behandlung am Lebensende für unabdingbar. Die Wahrung der Menschenwürde und die Akzeptanz der Werte, Einstellungen und der Entscheidung der Patientin oder des Patienten müssen handlungsleitend sein. Zu dem Angebot der gesundheitlichen Versorgungsplanung als wichtigem und entscheidendem Instrument sollte jede Versicherte und jeder Versicherte Zugang haben. Die GMK bittet daher die Bundesregierung zu prüfen, ob und inwieweit das Angebot der gesundheitlichen Versorgungsplanung für Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen gemäß § 132 g SGB V auf alle betroffenen Versicherten auch außerhalb von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ausgeweitet werden kann.
Protokollerklärung des Freistaates Sachsen
Der Freistaat Sachsen begrüßt die zahlreichen Maßnahmen und Forderungen zur Stärkung der Patientenrechte. Insbesondere bei der Erwägung der Einführung eines Patientenbriefes (Ziffer 7) sollten jedoch weitere bürokratische Belastungen der Ärzte in den Krankenhäusern vermieden werden. Ferner geht der Freistaat Sachsen davon aus, dass ein etwaiger Härtefallfonds als Bundesfonds mit Bundesmitteln eingerichtet wird.