Beschlüsse
Beschlüsse der GMK 11.06.2025 - 12.06.2025
TOP: 12.1 Prävention von Gewaltdelikten von Menschen mit psychischen Erkrankungen
Vorbemerkung:
Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder verfolgen mit der IMK das gemeinsame Anliegen, Gewaltdelikte von Menschen mit psychischen Erkrankungen mit potentiell fremdgefährdendem Verhalten zu verhindern.
Die Ereignisse in den letzten Monaten, bei denen aus unterschiedlichsten Hintergründen Gewalttaten auf Bürgerinnen und Bürger des Landes verübt wurden, sind erschreckend.
Diese Entwicklung führt bei vielen Bürgerinnen und Bürgern zu einer zunehmenden Verunsicherung, die durch die kurze zeitliche Abfolge der letzten Gewalttaten verstärkt wird. Die Frage, wie der Staat mit dieser Gefährdungslage und der Verunsicherung der Bevölkerung umgeht, ist für alle staatlichen Akteure von größter Bedeutung und stellt gleichzeitig eine große Herausforderung dar. Bei einzelnen dieser Gewalttaten steht im Raum, dass eine psychische Erkrankung vorliege und diese im kausalen Zusammenhang mit der Tat stehe.
Grundsätzlich konstatieren die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung keinesfalls generell gefährlicher als Menschen ohne eine solche Erkrankung sind. Bei einigen psychischen Störungen kann allerdings das Risiko von gewalttätigem Verhalten im Zusammenspiel mit weiteren Einflussfaktoren erhöht sein.
In der psychiatrischen Versorgung sind in den letzten Jahrzehnten seit der Psychiatrie-Enquête wertvolle Errungenschaften von Selbstbestimmung, Enttabuisierung und Entdiskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gelungen. Diese gilt es zu bewahren und einer erneuten Stigmatisierung entgegenzuwirken, auch um der Gefahr zu begegnen, dass Betroffene weniger notwendige Hilfe suchen. Gleichwohl braucht es eines verantwortungsbewussten Handelns mit einem gezielten und ganzheitlichen Ansatz zur Verhinderung von Straftaten, die das Leben, die Sicherheit und die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern bedrohen.
Im Rahmen der Ländergesetze zu Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Erkrankungen (PsychK(H)G) unterliegen freiheitsentziehende Maßnahmen verfassungsrechtlichen Grenzen. Die Polizeivollzugsdienste, die im Rahmen ihrer Polizeigesetze – im Gegensatz zu den Gesundheitsbehörden – über weitreichendere Eingriffsrechte im Rahmen der Gefahrenabwehr verfügen, stehen grundsätzlich nicht in regelmäßigen/engen Kontakten mit psychisch kranken Menschen und sind auch deshalb auf die Kooperation mit dem gesundheitlichen Versorgungssystem auf einer rechtssicheren Basis angewiesen. Erkenntnisse weiterer öffentlicher Stellen, z.B. der staatlichen Unterbringung, können ebenfalls über wertvolle und benötigte Informationen verfügen und liegen den Gesundheits- und Innenressorts häufig nicht vor.
Als erste gezielte Herangehensweise bedarf es deshalb einer vertieften, ressortübergreifenden Kooperation zur Verbesserung des Informationsaustausches sowie der erforderlichen direkten Zusammenarbeit. Dabei gilt es auch, bestehende Konzepte zur Prävention, Früherkennung und zum Risikomanagement auf ihre Übertragbarkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern. Fallgestaltungen und Indikatoren zum Datenaustausch sind unter datenschutzrechtlichen Vorgaben zu analysieren und umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund fassen die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder folgenden Beschluss:
- Die GMK nimmt die Beschlussniederschrift über die Sondersitzung der Ständigen Konferenz der Innenministerinnen und Innenminister und -senatorinnen und -senatoren der Länder vom 27. Januar 2025 zur Kenntnis. Sie teilt deren Auffassung, dass es eines verantwortungsbewussten gemeinsamen Handelns mit einem gezielten und ganzheitlichen Ansatz zur Verhinderung von Gewalttaten bedarf, die das Leben und die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern während ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben sowie im sozialen Nahraum bedrohen.
- Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder vereinbaren, in den vorhandenen Gremien Fragen in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie erforderliche Anpassungen und Verantwortlichkeiten zum Schutz der Bevölkerung, aber auch der psychisch erkrankten Menschen selbst zu klären. Dies umfasst die Prüfung des Austauschs von Gesundheitsdaten und den Erkenntnissen der Gefahrenabwehrbehörden unter datenschutzrechtlichen Vorgaben.
- Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder bitten das Bundesministerium für Gesundheit dafür Sorge zu tragen, dass die Länder frühzeitig an den bundespolitischen Diskussionen zur Erkennung entsprechender Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten beteiligt werden.
- Die wirksamste Prävention gegen Gewalttaten durch psychisch erkrankte Menschen mit Neigung zu fremdgefährdendem Verhalten ist eine bedarfsgerechte und verlässliche Behandlung. Dafür braucht es sowohl frühzeitige und niedrigschwellige Hilfe- und Behandlungsangebote als auch die Sicherstellung der Behandlungskontinuität. Hierzu gehören auch flexibel je nach Krankheitsphase einzusetzende aufsuchende und nachgehende Behandlungsmodelle als Alternative oder vorgeschaltete Versorgungsangebote zur medizinischen Regelstruktur für bereits anders nicht mehr erreichbare Patientinnen und Patienten. Damit das gelingt, ist die sektorenübergreifende Vernetzung der gemeindepsychiatrischen Angebote und der medizinischen Regelstruktur wichtig. Dabei ist grundsätzlich die Heterogenität der vorhandenen Strukturen in den Ländern zu berücksichtigen und deren Entwicklung und Schaffung durch ein Bundesprogramm zu unterstützen.
Zudem müssen nicht nur Behandlungsleistungen, sondern auch Kooperations- und Koordinationsleistungen in der sektor- und rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit aller hier relevanten Versorgungssysteme im medizinischen und psychotherapeutischen Bereich nach dem Leistungskatalog des SGB V abrechenbar sein. Hierfür wird das Bundesministerium für Gesundheit gebeten, die rechtlichen Grundlagen im SGB V zu schaffen[1] und gleichzeitig die gesetzliche Verpflichtung aufzunehmen, dass Bewertungsmaßstäbe zur Abrechnung von Kooperationsleistungen zu schaffen sind. Zugleich sind die Übergänge in andere Leistungsbereiche und die Kooperationen mit weiteren Rehabilitationsträgern bedarfsgerecht sicherzustellen und auszubauen.
- Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit bekräftigen die Notwendigkeit eines Verfahrens, Sprachmittlung, ggf. auch KI-basiert, für Menschen mit nicht ausreichenden deutschen Sprachkenntnissen zu implementieren und bitten das Bundesministerium für Gesundheit Finanzierungsoptionen und Umsetzungsstrategien zu prüfen.
- Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder fordern den Bund auf, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, die Psychosozialen Zentren für Geflüchtete weiter zu unterstützen. Gerade in Hinblick auf die bereits angespannte Versorgungslage innerhalb des Regelsystems der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung ist ein Ausbau dieser wichtigen Struktur sowie eine ausreichende finanzielle Förderung durch den Bund erforderlich.
- Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder fordern den Bund auf, ausreichende Forschungsmittel im Bereich der Frühdiagnostik und Entwicklung von Prädiktoren (auch mittels Einsatz von KI) zur Identifizierung von Patientinnen und Patienten sowie zur Entwicklung von auf diese Zielgruppe abgestimmten innovativen Therapieansätzen zur Verfügung zu stellen. Zudem sollten bereits vorhandene evidenzbasierte Methoden und Instrumente aus der Forensischen Psychiatrie zur Risikoeinschätzung und Erstellung von Legalprognosen sowie Behandlungsmodelle wie das Assertive Community Treatment (mobile Behandlungsteams) zur Versorgung von schwer psychisch erkrankten Menschen mit der Neigung zur Gewalt als Standards in der allgemeinpsychiatrischen Facharztausbildung und psychotherapeutischen Weiterbildung gesetzt und mit Bundesmitteln gefördert werden. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass die Vergütung innovativer Therapieansätze für diese Patientengruppe ebenfalls im Leistungskatalog des SGB V abgebildet wird.
- Die GMK bittet ihre Vorsitzende, die Vorsitzenden der IMK und der JuMiKo über diesen Beschluss zu informieren.
[1] So wie beispielsweise im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) - § 81 SGB VIII Strukturelle Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen.
